Leitfaden zum Kontakt mit obdachlosen Menschen entwickeln - Obdachlosigkeit empathisch begegnen!

Drs. IX-0382

Antrag der Linksfraktion 


Die BVV möge beschließen:

Das Bezirksamt wird ersucht, einen allgemeingültigen und verbindlichen Leitfaden beim Erstkontakt und beim weiteren Umgang mit obdachlosen Personen im öffentlichen Raum zu entwickeln. Dieser Leitfaden soll allen Dienstkräften, die potenziell in Kontakt mit obdachlosen Personen kommen können zur Verfügung gestellt werden und die Einhaltung des Leitfadens ist in regelmäßigen Abständen zu überprüfen, zu evaluieren und ggf. weiterzuentwickeln. Zusätzlich ist der Leitfaden den zuständigen Ausschüssen vorzustellen und mit allen Polizeiabschnitten abzustimmen, um ein gemeinsames Vorgehen zu organisieren.

In dem Leitfaden sollten unteranderem folgende Punkte Berücksichtigung finden:

Bei ungeplantem Antreffen von obdachlosen Personen im Öffentlichen Raum, ist sofort die KARUNA Taskforce zu informieren und hinzuzuziehen als Akteur, der am schnellsten reagieren und vor Ort sein kann. Die Taskforce soll vor den Ordnungskräften den Erstkontakt herstellen. Jedes weitere Vorgehen der Ordnungskräfte ist mit der Berliner Help Stiftung abzustimmen, die durch das Karuna-Team kollegial unterstützt werden kann. Bei geplanten Kontaktaufnahmen sind ebenfalls unbedingt die Straßensozialarbeiterinnen und Straßensozialarbeiter einzubeziehen, damit diese den Erstkontakt vor den Ordnungskräften suchen können. Dabei ist vorher zu überprüfen, ob es bereits einen Erstkontakt z.B. durch die Berliner Help Stiftung oder die Karuna-Taskforce gegeben hat, die möglicherweise bereits Vertrauen aufgebaut haben.

Bei Bedarf oder drohender Räumung, wird zwischen der HELP-Stiftung und dem Bezirk Pankow im Vorfeld einer bezirklichen Anordnung, bzw. Räumung initial eine Clearing-Zeit vor Ort von 2 Wochen vereinbart (Umgang mit Zelten, Plätzen o.Ä.). Idealer Weise werden seitens des Bezirksamtes jeweils zwei Mitarbeitende als Ansprechpersonen benannt, um die Kommunikation effektiver zu gestalten (z.B. Leiter Außendienst). Die Clearingzeit kann nach Absprache verlängert werden, dies ist auf Streetworkseite zu begründen. Es ist streetworkseitig einzuschätzen und zu kommunizieren, welcher konkreten Hilfen es bedarf, um die Situation zu verbessern (z.B. Müllbeseitigung). Im Einzelfall kann mehrfach die Aussetzung einer Räumung für jeweils einen Monat beschlossen werden (Duldung), hierzu sind die Bedingungen festzulegen (kein weiterer Zuzug anderer obdachloser Menschen an den Platz, keine Vermüllung etc.). Räumungen erfolgen ausschließlich im Ultima-Ratio-Prinzip, wenn muttersprachliche Kommunikation, Kooperation, Ausweichmöglichkeiten und eine ausreichende Frist für Streetwork-Intervention besteht.

StreetworkerInnen sind handlungsfähig zu machen. Es sind dazu in den Notunterkünften bis 15:30 Uhr täglich verbindliche Tickets vorzuhalten (z.B. je 1 Mann und 1 Frau für eine Clearingdauer bis maximal 2 Wochen), die bei Bedarf von StreetworkerInnen abgefordert werden können. Zusätzlich muss die Kommunikation der Streetworker mit den bezirklichen Behörden vereinfacht werden. Zum Beispiel sollten Vorzugstermine bereitgestellt werden. Auch sollte geschaut werden, dass zusätzlich zu den bezahlten Dolmetschdiensten, bei Bedarf ein ehrenamtliches Dolmetschnetzwerk aufgebaut wird, als Unterstützung der Straßensozialarbeit.

Das Vorgehen ist in regelmäßigen Abständen mit allen beteiligten Akteuren (u.a. Ordnungsamt, Jugendamt, Straßen- und Grünflächenamt, Polizeiabschnitte, Streetworker, Sozialamt) in der AG Obdachlosigkeit des Bezirksamtes Pankow abzustimmen und zu evaluieren. Ergebnisse sind dem zuständigen Ausschuss der BVV-Pankow zu berichten. Dabei ist insbesondere bei obdachlosen Minderjährigen, Frauen und Familien ein sensibler Umgang zu finden.

Begründung:

Die Kälteperiode steht Pankow bevor und die Zahl der Obdachlosen Menschen in Berlin scheint weiter anzusteigen. Räumungen und repressives Vorgehen führt allerdings nicht zu einer Lösung der Probleme für die Beteiligten, sondern verschiebt Menschen die dringend Hilfe brauchen nur an einen anderen Ort. Das Ziel ist es die Obdachlosigkeit in Berlin bis 2030 zu beenden, dafür müssen jetzt richtungsweisende Entscheidungen getroffen werden und bisheriges Vorgehen muss dringend überprüft werden. Dafür muss der Bezirk Pankow alles tun was möglich ist, um dieses Ziel zu erreichen. Obdachlosigkeit ist keine Notwendigkeit und kann durch beherztes Vorgehen beendet werden. Empathie sollte dabei das oberstes Leitziel sein.

Die Energiekrise und die starken Preissteigerungen werden zu starken Verschuldungen bei vielen Haushalten führen und Verschuldungen führen zu Obdachlosigkeit. Neben den präventiven Maßnahmen zur Verhinderung von Obdachlosigkeit, gilt es besonders während den Kältemonaten den obdachlosen Menschen mit Verständnis für ihre Situation zu begegnen und ihnen die Hilfe anzubieten die sie brauchen.

Die gestellten Forderungen können weitestgehend kostenneutral für den Bezirk umgesetzt werden, da es bereits Personal zur Koordinierung der Obdachlosenhilfe im Bezirk gibt, die AG Obdachlosigkeit bereits existiert und die Help-Stiftung vom Bezirk bereits den Auftrag für die aufsuchende Straßensozialarbeit erhalten hat. Die Karuna Taskforce (Hotline: 0157 - 80 59 78 70; Mo-Fr. 9-17 Uhr) ist ein Modellprojekt der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales und wird auch dort finanziert. Sie leisten situative und herzliche Hilfe in prekären Situationen für obdachlose Menschen im gesamten Berliner Stadtgebiet (u.a. Hilfe bei notwendigen Ortswechseln, Unterstützung und Mobilitätshilfe beim Aufsuchen von Beratungs- und Hilfeeinrichtungen, Transporte mit Bussen, Fahrten zu Notunterkünften oder Ärzten, Corona-Infektionsschutz, Versorgung im Rahmen der Hitze- und Kältehilfe) mit bis zu 20 Obdachlosenlotsen täglich im Einsatz. Diese Leistungen können kostenneutral für den Bezirk abgerufen werden.