Neue Millionendefizite im Haushalt verhindern – Finanzierungsmodelle für die Hilfen zur Erziehung und für die Eingliederungshilfen in der Kinder- und Jugendhilfe neu aushandeln

Drs. IX-1040

Gemeinsamer Antrag der Linksfraktion und der Fraktion der SPD in der BVV Pankow


Das Bezirksamt wird ersucht, eigenständig und über den Rat der Bürgermeister (RdB) unverzüglich in Verhandlungsgespräche zur Reform der Finanzierung der bezirklichen Ausgaben für Hilfen zur Erziehung (HzE) und für Eingliederungshilfen (EGH) nach dem SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe) mit dem Senat einzutreten. Ziel der Verhandlungen muss es sein, hier

  • alle Bezirke bei gesetzlichen Pflichtleistungen für Kinder, junge Menschen und ihre Familien ausreichend in einem übersichtlichen und planbaren System zu finanzieren,
  • bezirklich steuerbare und nicht steuerbare Kosten konkret festzulegen und in der Budgetierung stärker zu berücksichtigen,
  • bezirkliche Budgetgewinne bei HzE und bei EGH SGB VIII zu verhindern, wenn zugleich andere Bezirke Budgetdefizite erzielen sowie
  • die Mitarbeiter:innen im Jugendamt zu einem fachlich begründeten Kostenbewusstsein im Sinne des Wohles der Kinder und der jungen Menschen zu motivieren und nicht zu demotivieren.

Dafür ist eine Zusammenarbeit mit den anderen Bezirksbürgermeister:innen anzustreben. Die geeigneten und notwendigen Hilfen für alle Kinder, junge Menschen und ihre Familien, besonders in schwierigen Lebenslagen, sowie Prävention sind auch finanziell abzusichern. Fehlanreize im bestehenden Finanzierungssystem, wie fachlich nicht begründete Aufteilung einzelner Hilfen, sind herauszuarbeiten und dem Senat konkrete Änderungen vorzuschlagen. Dazu soll auch im RdB ein alternatives Zuweisungsmodell für die HzE und die EGH SGB VIII erarbeitet und dem Senat vorgelegt werden, das der Notwendigkeit von Hilfen, den Lebensrealitäten der Leistungsempfangenden und den tatsächlichen Finanzierungsbedarfen der Bezirke entspricht.

Kurzfristig ist für die Nachbudgetierung für das Jahr 2024 eine vorläufige Finanzierungsregelung mit dem Senat zu verhandeln und umzusetzen, die bezirkliche Budgetdefizite bei den HzE und den EGH SGB VIII in 2024 ausgleicht.

Über die Umsetzung sind neben der BVV auch der Ausschuss für Finanzen, Personal, Immobilien und Verwaltungsmodernisierung und der Kinder- und Jugendhilfeausschuss zu informieren.

 

Einreichende, Linksfraktion: Maria Bigos, Maximilian Schirmer

Einreichende, Fraktion der SPD: Roland Schröder, Thomas Bohla

 

Begründung:

Seit 2016 erfolgt die Zuweisung und auch die nachfolgende Basiskorrektur für die HzE und die EGH SGB VIII durch das Land auf Grundlage eines sehr komplexen Kennzahlverfahrens (sog. Planmengenmodell). Berechnungsgrundlage sind hier nicht allein die Ist-Mengen in einem Prognoseverfahren, sondern Planmengen über einen „HzE Belastungsfaktor“ als zusätzlichen Indikator. In mehreren Schritten wird aus dem „HzE-Belastungsfaktor“ und der Gesamtmenge Berlins eine Modellmenge pro Bezirk hergeleitet. Diese Modellmenge fließt dann zu 33 Prozent in die Zuweisung ein. Der Rest erfolgt aus Ist-Mengen. Die Budgetierung erfolgt dann über den Median in den einzelnen Produkten im Rahmen der Kosten-Leistungsrechnung (KLR). Der HzE-Belastungsfaktor selbst ergibt sich aus der Anzahl minderjähriger unverheirateter Kinder von Alleinerziehenden mit SGB II-Bezug. In Pankow liegt dieser Anteil aktuell bei 0,604, bezogen auf den Berliner Durchschnitt von 1,0. Bezirke mit einem Wert über 1,0 erhalten dadurch in der Zuweisung Mengenzuschläge, Bezirke unter 1,0 erhalten Mengenabschläge. Für Pankow bedeutet das aktuell für 2025, dass bei einer tatsächlichen Zielgruppe (0 bis 21jährige) von 84.768 Personen bei der Zuweisung nur 51.256 Personen als gewichtete Zielgruppe angerechnet werden. 33.512 Kinder und junge Menschen werden hier bei der Zuweisung für gesetzliche Rechtsansprüche auf HzE und EGH SGB VIII nicht berücksichtigt. Dadurch steigt künstlich auch die für die Finanzierung ebenfalls maßgebliche gewichtete Hilfedichte an (Anzahl der Hilfen je 1.000 der gewichteten Zielgruppe 0 bis 21jährige).

Bezirke mit dem niedrigsten Belastungsfaktor schneiden hier regelmäßig negativ ab und haben zumeist höhere Ausgaben als sie im Rahmen der Globalsumme als Zuweisung und über die Nachbudgetierung erhalten. Einige Bezirke mit hohem Belastungsfaktor können so aber auch bei den gesetzlichen Pflichtausgaben HzE und EGH SGB VIII eine höhere Zuweisung als ihre tatsächlichen Ausgaben erhalten und so Budgetgewinne erzielen, mit denen sie dann andere bezirkliche Ausgaben finanzieren können. Basierend auf 2023 erzielten sechs Bezirke Budgetdefizite und sechs Bezirke Budgetgewinne. Der Trend geht in 2024 dahin, dass mehr Bezirke ein Defizit haben werden.

Wesentlich verstärkt wird dieses Problem für Bezirke mit niedrigem HzE-Belastungsfaktor dann noch durch die Nachbudgetierung (Nachbudgetierungsquoten je nach Produkt mit 50 bis 90 Prozent), da die Basiskorrektur auch über das Planmengenmodell durchgeführt wird. Anhand der jeweiligen bezirklichen Hilfedichten über die gewichtete Zielgruppe wird im Nachhinein nicht allein nach Ist-Mengen, sondern auch wieder nach Planmengen nachbudgetiert. So ist bei den HzE in Pankow die echte Hilfedichte in der tatsächlichen Zielgruppe in den Jahren von 2016–2023 zwar signifikant um 17 Prozent gesunken, was zunächst ein Erfolg ist. Bezogen auf die maßgebliche gewichtete Zielgruppe ist die Hilfedichte im gleichen Zeitraum jedoch um 4 Prozent gestiegen. Auch wenn die Planmenge nur mit 33 Prozent in die Berechnung einfließt, sind die Auswirkungen auf das Budget aus Pankower Sicht sehr gravierend. Im Jahr 2023 betrug bei Gesamtausgaben in Höhe von 75 Mio. Euro das Budgetdefizit HzE und SGB VIII in Pankow 6 Mio. Euro. Für 2024 zeichnet sich in der Prognose mit Stand August 2024 so ein Budgetdefizit von 9,6 Mio. Euro ab.

In den vergangenen Jahren konnten in Pankow die Defizite aus den HzE und den EGH SGB VIII durch positive Jahresabschlüsse bzw. in 2020 und in 2021 durch die coronabedingten Neutralstellungen der bezirklichen Jahresabschlüsse ausgeglichen werden. Das ist durch den negativen Jahresabschluss 2023 in allen Ämtern, außer dem Amt für Schule und Sport und dem Ordnungsamt, und durch die berlinweit steigenden Kosten in den einzelnen Hilfearten nicht mehr gelungen.

Auch das notwendige Sanierungskonzept des Bezirkes Pankow baut maßgeblich auf ausgeglichene Haushalte für 2024 und für 2025 auf. Nur wenn die kommenden Jahresabschlüsse keine neuen Defizite generieren, einschließlich dem Ausgleich der pauschalen Minderausgaben und der bereits eingesetzten Ergebnisrücklage in 2024 von zusammen minus 7,1 Mio. Euro, kann der Bezirk den aufzulösenden Gesamtbetrag aus dem Jahresergebnis 2023 sowie der Fortschreibung 2025 in Höhe von minus 21,4 Mio. Euro bis 2027 herausarbeiten – eine Kraftanstrengung, die weitere Gespräche mit dem Senat und ein stabiles Bündnis mit den anderen Berliner Bezirken braucht. Denn das hohe Defizit Pankows ist laut Bezirksamt zu einem relevanten Anteil einer grundlegenden und strukturellen Benachteiligung des Bezirks Pankow innerhalb der Finanzierungssystematik des Landes gegenüber den Bezirken geschuldet. Das gilt neben den Kosten der Gebäudebewirtschaftung besonders auch für die Finanzierung der Hilfen zur Erziehung und der Eingliederungshilfen SGB VIII.

Nach nunmehr acht Jahren bedarf das hier bestehende Finanzierungsmodell einer grundlegenden Reform. Der „HzE-Belastungsfaktor“ ist fachlich umstritten. Bezirklich steuerbare und nicht steuerbare Kosten sind nicht eindeutig geklärt. Die Höhe der Basiskorrektur für die einzelnen Bezirke ist kaum plan- und berechenbar. Auch ist der Widerspruch aufzulösen, dass mit Ausgaben für gesetzliche Pflichtansprüche in einigen Bezirken siebenstellige Defizite ausgeglichen werden müssen, während andere Bezirke hier siebenstellige Budgetgewinne erzielen. Kostendruck aus nicht steuerbaren strukturellen Benachteiligungen darf in den Bezirken nicht auf individuell notwendige Hilfen mit Rechtsanspruch wirken. Die letzte Initiative des Bezirksamts Pankow im Rat der Bürgermeister in 2020 scheiterte. Angesichts der Tendenz, dass immer mehr Bezirke trotz Planmengenmodell bei den Ausgaben für Hilfen zur Erziehung und für Eingliederungshilfen nach dem SGB VIII hohe Defizite erzielen, erhöht sich auch überbezirklich die dringende Notwendigkeit zum gemeinsamen Handeln.