Wir bleiben Schmalhans auf Diät

Sören Benn

Mehr Einwohner, mehr Aufgaben – aber den Bezirken fehlt Personal, weil der Senat Versprechen nicht hält.
Ein Gastbeitrag im Tagesspiegel

Berlin hat das Jahrzehnt der Investitionen ausgerufen. Das hört sich gut an. Und in der Tat, allein in die Schulbauoffensive werden weit über fünf Milliarden Euro fließen. Und auch beim Personal tut sich was. Allerdings verwischen diese positiven Entwicklungen dramatisch den klaren Blick auf das Niveau, von dem aus dieser Aufbau geschieht. Und nein, hier wird nicht auf hohem Niveau gejammert.

Zur Einordnung der Dimensionen des derzeitigen Personalaufbaus: 2001 zur Bezirksfusion hatte die Pankower Verwaltung 3700 Beschäftigte. Heute sind es gerade wieder knapp 2300, nachdem Pankow 2014 einen Tiefstand von 1905 Stellen hinnehmen musste.

Wir hatten in den letzten Jahren also die Möglichkeit, die ausgezehrte Berliner Verwaltung personell einer kleinen Frischzellenkur zu unterziehen. Gleichzeitig muss sie aber wesentlich mehr leisten durch neue gesetzliche Regelungen, die Dynamisierung des Wohnungsbaus, durch politische Vorhaben, den Abbau des Sanierungsstaus bei der Infrastruktur und schlicht durch Bevölkerungswachstum. Im Ergebnis schließt sich daher die Lücke beim personellen und auch der sächlichen Ausstattung nicht. Wir bleiben Schmalhans auf Diät.

Leider wird diese Sicht der Dinge auf Landesebene nicht geteilt. Im Gegenteil. Viele in Senat und Abgeordnetenhaus meinen, man habe den Bezirken nun genug gegeben. Jetzt sollten die erstmal liefern. Im Zweifel findet sich immer eine nicht besetzte Stelle, die als Beweis dafür dienen kann, dass es doch reiche. Warum sonst habe Bezirk x oder y seine Stellen noch nicht besetzt. Dass Fachkräftemangel, schlechte Bezahlung und Arbeitsbedingungen in runtergerockten Büros die Stellenbesetzungen nicht leichter machen, kommt zu vielen nicht in den Sinn.
 

Mangel in Schulen, Landschaftsbau und beim Ordnungsamt

Für die Pankower Verwaltung habe ich gerade erneut ermitteln lassen, wie groß der nicht finanzierte Investitionsstau außerhalb der politischen Leuchtturmprojekte ist und welches Personal wir zusätzlich brauchen, um die riesigen Aufgaben, allein in Pankow 24 neue Schulen, etwa 30 Schulsanierungen, die Mobilitätswende, den Wohnungsbau, Energiewende, Klimaschutz und Verwaltungsmodernisierung erfolgreich umsetzen zu können.

Das Ergebnis ist eindeutig. Es sind weitere mindestens 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter notwendig, um all das leisten zu können, was die Bürger zurecht erwarten dürfen von ihrer Verwaltung. Allein gut 100 Stellen zusätzlich brauchen wir für die Wiederherstellung der Verkehrssicherheit von Bäumen und Spielplätzen, für die Pflege öffentlicher Grünanlagen und Instandhaltung von Straßen. Für unsere 68 Schulen benötigen wir weitere 37 Schulhausmeister. Dann verbessert sich auch das Erscheinungsbild der überfüllten Schulen in Bezug auf Sauberkeit und Verfügbarkeit der technischen Anlagen. Im Jugendamt fehlen weiter bis zu 40 Stellen. 

Auch das Ordnungsamt braucht dringend zusätzlich 15 Stellen, ebenso das Umweltamt und das Hochbauamt weitere 25 Stellen, um die Investitionen planend und baubegleitend umsetzen zu können. Der Kinder- und Jugendgesundheitsdienst braucht dringend Therapeuten. Die Liste ist unvollständig.
 

Infrastruktur wird Einwohnerwachstum nicht gerecht

Das konkrete Lagebild wird von Bezirk zu Bezirk unterschiedlich sein, je nachdem, wie stark die Bezirksämter in den vergangenen Jahren von Einsparungen und Schuldenabbau betroffen waren. Indes dürfte es nur wenige Bezirke geben, deren Personalausstattung so bemessen ist, dass die großen Linien der Senatspolitik bei den Bürgerinnen und Bürgern auch tatsächlich spürbar werden können.

Was die Investitionsrückstände im Verkehr betrifft, hilft vielleicht dieser Hinweis zum Verständnis: Auf dem Gebiet des heutigen Bezirks Pankow lebten 1990 rund 303 000 Menschen. 2018 waren es 407 000. Im einem Zeitraum von 28 Jahren wurden zwei Kilometer Straße und zwei Kilometer Straßenbahn neu errichtet. Der Rest ist weitgehend verrottet.

Es ist leicht einzusehen, dass ein Bevölkerungszuwachs von 100 000 Menschen nicht mit vier Kilometern verkehrlicher Infrastruktur pariert werden kann. Der Berliner Nordosten ist heute eine verkehrliche Katastrophe. Es ist beileibe nicht der Bezirk, der hier Neubau blockiert. Es sind die verstopften Verkehrswege, die jeden Neubau in relevanten Größenordnungen vereiteln. Wann immer die auch für den Neubau notwendige Verkehrswende kommt, mit der Senatsverwaltung für Verkehr in ihrem gegenwärtigen Zustand kommt sie sicher nicht.
 

300 Millionen Euro fehlen

Neben den über die Schulbauoffensive finanzierten notwendigen Sanierungen und Neubauten von Schulen und einzelnen über Sonderinvestitionen (SIWANA) und Landesprogramme finanzierten Maßnahmen klafft in Pankow nach wie vor eine Investitionslücke von 300 Millionen Euro bei den bezirklichen Immobilien, die sich, bedingt durch Inflation, Baukostensteigerungen und weiteren Verfall, jährlich um fünf bis zehn Prozent weiter erhöhen wird.

Dies betrifft die bauliche Substanz von Volkshochschulen und Bibliotheken, Rathäusern und Revierstandorte der Grünflächenämter ebenso, wie die völlig aus der Zeit gefallenen Ausstattungsstandards. Von Hitzeschutz und Klimawandel war da noch nicht die Rede.

Wenn die rot-rot-grüne Koalition scheitern sollte, dann auch deshalb, weil sie ihre Zusagen genau dort nicht mit ausreichend Ressourcen untersetzt hat, wo die Bürger es zuerst spüren. In den Bezirken. Wenn der Senat den Bezirken jetzt mit Sanktionen droht, um deren Leistungen zu erhöhen, scheitert er gewiss. Noch ist Zeit für die Koalition, die Prioritäten klarer zu setzen – damit alle gewinnen.

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