Öffnung der Außensportanlagen der Pankower Schulen für den Individualsport von Kindern und Jugendlichen ermöglichen!

Drs. IX-0153

Antrag der Linksfraktion


Die BVV möge beschließen:

Das Bezirksamt wird ersucht, die Möglichkeit zur Öffnung der Außensportanlagen der Pankower Schulen zu prüfen und ein Konzept zu entwickeln, das die Ausübung von Individualsport der Pankower Kinder und Jugendlichen ohne Vereinsbindung unbürokratisch ermöglicht. Dieses Konzept – je nach Modell – soll an mindestens einer Pankower Außensportanlage oder Schule pilotiert werden. Nebst einer grundlegenden Machbarkeitsbewertung soll das Konzept folgendes beinhalten:

a) einen zeitlichen Umsetzungsplan mit konkreten Arbeitsschritten, zunächst für die Pilotierung,

b) die Klärung folgender Umsetzungsfragen:

1. das grundlegende Öffnungsformat im Aufwand-Nutzen-Verhältnis und dessen Praktikabilität:

entweder

die ortsgebundene Öffnung der Außensportanlagen einer jeden Schulen, d.h. jede Schule öffnet nur für ihre jeweilige Schüler*innenschaft die Außensportanlagen, weil bspw. die Organisation und Nutzung sowie etwaige Haftungsfragen hierüber erleichtert bzw. gesichert werden

oder

die bezirksübergreifende Öffnung der Außensportanlagen der Pankower Schulen, d.h. eine zu bestimmende Anzahl von Pankower Schulen öffnet ihre Außensportanlagen für alle Kinder und Jugendlichen im Bezirk, weil bspw. nicht jede Schule über Außensportanlagen verfügt und/oder die Außensportanlagen der Schulen in ihrem Bau- und Anlagenzustand sowohl zur Nutzung als auch im Zugang eingeschränkt sind

oder

ein Mischformat bzw. ein dritter Weg, dessen Spezifika vom Bezirksamt in Kooperation mit den Schulen auszuarbeiten sind.

2. die Gewährleistung des Zugangs zu den Außensportanlagen, insbesondere hinsichtlich der Barrierefreiheit, wobei vorab eine Erhebung des derzeitigen Status Quo und bestehende Bedarfe der Schüler*innenschaft zu erfolgen hat; der Behindertenbeirat ist einzubeziehen.

3. die zur Umsetzung notwendigen Ressourcen, sowohl monetär als auch gegenständlich bspw. die Ausstattung der Außensportanlagen mit Sportgeräten, wobei vorab eine Erhebung des derzeitigen Status Quo und bestehender Bedarfe der Schüler*innenschaft zu erfolgen hat.

4. die Klärung der Aufsichtspflicht inkl. der Klärung etwaiger Haftungsfragen, insbesondere die Möglichkeit zur selbstorganisierten Aufsicht durch volljährige Schüler*innen, Eltern oder weitere aufsichtsberechtigte Personen, die nicht dem Lehrkörper angehören.

5. die Klärung der Verantwortlichkeit für die Säuberung und das Abschließen der Außensportanlagen nach Nutzung.

6. die Bewertung unterschiedlicher Modelle zur Platzbelegung:

entweder

die flexible Nutzung innerhalb fester Zeiträume

oder

die Möglichkeit zur Einzelbuchung mit Rücksicht auf den schulischen Eigenbedarf und Vereinszeiten, wobei die schulischen Eigenbedarfe und Vereinszeiten zu erheben sind

oder

ein Mischformat bzw. ein dritter Weg, dessen Spezifika vom Bezirksamt in Kooperation mit den Schulen auszuarbeiten sind.

7. die Erarbeitung einer nutzer-/altersgerechten Informationsbereitstellung für sowohl Kinder und Jugendliche als auch Vereine zur Buchung und Nutzung (Nutzungsregeln) der Außensportanlagen.

8. die Möglichkeit zur Kooperation mit freien und/oder kommunalen Trägern, die über keine eigenen Außensportanlagen verfügen, entsprechenden Bedarf hätten und ggf. die Aufsichtspflicht übernehmen könnten, wofür die Bedarfe zu erheben sind.

Die Aufzählung ist nicht abschließend, die Punkte im Mindesten einzubeziehen. Weitere relevante Aspekte, die zur Umsetzung der Öffnung von schulischen Außensportanlagen für den Individualsport von Kindern und Jugendlichen zu berücksichtigen sind, sind vom Bezirksamt im Konzept eigenständig einzufügen, zu erörtern und auf ihre Verhältnismäßigkeit zu bewerten. An der Erarbeitung dieses Konzeptes ist der zuständige Fachausschuss für Schule und Sport zu beteiligen.

Begründung:

Aktuelle Studien zeigen einen Anstieg an Stressreaktionen und psychischen Belastungen bis hin zu psychischen Erkrankungen, zuvorderst in Form von Depressionen und Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen im Zuge der Covid-19-Pandemie.[i] Wenngleich ein nahes Ende der Covid-19-Pandemie wünschenswert ist, zeichnen sich die gesellschaftlichen und individuellen Folgen bereits mit Blick auf Therapiedauern und dazugehörige Wartezeiten als langfristige Problemlagen ab. Zu berücksichtigen sind auch pandemieunabhängige Entwicklungen im Bereich psychischer Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen bzw. dazugehörige Einflussfaktoren.

So stieg der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die eine Therapie erhalten haben, allein bei den Barmer-Versicherten - eine gesetzliche Krankenkasse, die regelmäßig wissenschaftliche Auswertungen vornehmen lässt - zwischen den Jahren 2010 bis 2019 bundesweit um 46%. Das sind ca. 382.000 Kinder und Jugendliche. Während der Covid-19-Pandemie habe sich die Zahl um weitere 6%, d.h. um ca. weitere 44.000 Betroffene gesteigert. Berlin habe mit einem Anstieg von 5,19% den höchsten Bedarf, (vgl. Barmer Ärztereport 2021). Zahlen für Pankow liegen nicht vor. Als kinderreichster Bezirk kann jedoch aufgrund der Anteilsmäßigkeit der demographischen Verteilung davon ausgegangen werden, dass ein relevanter Anteil an Pankower Kindern und Jugendlichen betroffen sind.

Körperliche Betätigung gilt in der Psychologie als effektive Maßnahme, um Belastungs- und Angstzuständen entgegenzuwirken. Sport kann insbesondere bei Depressionen in einem ähnlichen Maße wirksam sein, wie eine medikamentöse Behandlung[ii]. Die körperliche Betätigung im Rahmen des schulischen Sportunterrichts kann dahingehend unzureichend sein, als dass einem klaren Rahmenlehrplan zu folgen ist, der in der Regel keine gezielten Übungen zum angst- und belastungsbasiertem Stressabbau bereithält. Zudem lassen sich depressive Episoden und Angstzustände nicht terminieren.

Gleichzeitig kompensiert der Individualsport auf den Außensportanlagen das Heraustreten aus der Enge der familiären Verhältnisse. Familiäre Enge kann einerseits bestehende Belastungen, Ängste und Depressionen befördern. Andererseits komme es aufgrund fehlender Rückzugsmöglichkeiten zu einer erhöhten Konfliktdichte innerhalb von Familien. Die Konfliktdichte münde zu einem relevanten Anteil in Gewalthandlungen gegenüber Kindern und Jugendlichen und erhöht das Risiko einer psychischen Erkrankung bzw. deren Chronifizierung; insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, deren Depression und Angststörung auf bereits vor der Pandemie erlittenen Gewalthandlungen beruhen.[iii]

Bezirklich bestehen nur begrenzt Möglichkeiten etwaige Engpässe in der Prävention und Behandlung von psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen auszugleichen. Worauf aber der Bezirk Einfluss hat, darauf sollte er auch Einfluss nehmen und die sportliche Betätigung für Kinder und Jugendliche niedrigschwellig ermöglichen. Eine Forderung, die nicht zuletzt durch die „Initiative Bildungsgerechtigkeit 2021“ vorgetragen wurde; ein Zusammenschluss von Schüler*innen, die ihr Anliegen auf Basis einer Datenauswertung zu den Folgen der Coronakrise bei Kindern und Jugendlichen im März 2021 formulierten.[iv]

Grundlegend ist die eigenständige Nutzung von Außensportanlagen durch Kinder und Jugendliche auch außerhalb pandemischer Zeiten förderlich, wenn man die Schule als einen Lebensmittelpunkt der Schüler*innen begreift. Die Öffnung der Außensportanlagen bedeutet auch die Öffnung weiterer Sozialräume für Kinder und Jugendliche und steht damit im Einklang mit den Handlungsempfehlungen zur integrierten kommunalen Sportentwicklungsplanung für den Bezirk Pankow, die eine Öffnung von Schulhöfen für die Sport- und Bewegungsaktivitäten von Kindern und Jugendlichen als Zielsetzung im Handlungsfeld C: Breiten-, Freizeit- und Gesundheitssport verknüpfen benennt.[v]

[i] Vgl. BUNDESINSTITUT FÜR BEVÖLKERUNGSFORSCHUNG (2021): Belastungen der Kinder, Jugendlichen und Eltern in der Corona-Pandemie; vgl. BUNDESMINISTERIUM FÜR FAMILIE, SENIOREN, SOZIALE UND JUGEND (30. Juni 2021): Übersicht zu gesundheitlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Kinder und Jugendliche. Gemeinsamer Bericht BMG und BMFSFJ in der Kabinettssitzung vom 30. Juni 2021; vgl. DÖPFNER, Manfred et al. (2021): Die psychische Belastung von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien während der COVID-19-Pandemie und der Zusammenhang mit emotionalen und Verhaltensauffälligkeiten, Bundesgesundheitsblatt und vgl. SCHLACK, Robert et al. (2020): Auswirkungen der COVID-19-Pandemie und der Eindämmungsmaßnahmen auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, Journal of Health Monitoring.

[ii] Vgl. SCHULZ, K.-H. et al. (2012): Körperliche Aktivität und psychische Gesundheit, Bundesgesundheitsblatt.

[iii] Vgl. BAUMANN, Menno (Juli 2020): Familiäre Gewalt in der Corona-Zeit - Entwurf eines empirisch fundierten Modells dynamischer Risiko- und Ressourcenfaktoren; Zeitschrift für Sozialpädagogik, S. 240.

[iv] Vgl. m.tagesspiegel.de/downloads/26989978/2/datenauswertung-zu-den-folgen-der-coronakrisebei-kindern-und-jugendlichen-initative-bildungsgerechtigkeit2021.pdf; [14. Februar 2022; 15:10 Uhr].

[v] Vgl. Integrierte Sportentwicklungsplanung für den Bezirk Pankow von Berlin; S. 215.